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Wenn ein vertrauter Mensch in seelische Not gerät, fühlen sich viele überfordert. Wie kann man als Laie in solchen Situationen helfen? In Kursen kann man das lernen. Wir sprechen mit Tom Bögli, er ist Trainer und Instruktor bei ensa – Erste Hilfe für psychische Gesundheit.
Tom, was ist ensa?
ensa ist die Schweizer Version des australischen Programms «Mental Health First Aid» (auch MHFA oder Erste Hilfe für psychische Gesundheit). Es wurde 2019 in der Schweiz von der Stiftung Pro Mente Sana mit Unterstützung der Beisheim Stiftung lanciert. Das Wort «ensa» stammt aus einer der über 300 Sprachen der australischen Ureinwohner und bedeutet «Antwort». Ich denke, dass ensa eine Antwort liefert für den Umgang mit Menschen mit psychischen Schwierigkeiten.
Die Idee dahinter stammt vom Ehepaar Betty Kitchener und Tony Jorm. Die beiden haben den Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit 2000/01 in Australien entwickelt. Sie ist Ausbildnerin und Betroffene, hat selbst wiederholt Depressionen erlebt, er ist Forscher im Bereich der psychischen Gesundheit. Ihr Ziel war es, dass Laien bei nahestehenden Personen mit psychischen Schwierigkeiten besser helfen können. Deshalb gründeten sie die Organisation MHFA. Seit der Lancierung in Australien haben ca. 24 weitere Länder Lizenzen erworben und es gibt über 5 Millionen Ersthelfer:innen weltweit.
Psychische Probleme und psychische Krankheiten sind in unserer Gesellschaft immer noch ein grosses Tabu und mit vielen Vorurteilen behaftet. Menschen mit psychischen Problemen werden häufig stigmatisiert und gelten als schwach und nicht belastbar. Aus diesem Grund behalten viele Betroffene Ängste, Selbstzweifel, depressive Gefühle oder gar Selbsttötungsgedanken viel zu lange für sich, statt sich jemandem anzuvertrauen und professionelle Hilfe zu erhalten.
Hier möchten wir mit unseren Kursen ansetzen und dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen sowie insgesamt mehr Verständnis für Menschen mit psychischen Problemen zu schaffen. Personen aus dem sozialen Umfeld, die Möglichkeiten für professionelle Hilfe kennen, können Betroffene dabei unterstützen, Hilfe anzunehmen. In einer psychischen Krise, beispielsweise bei Suizidgedanken, einer Panikattacke oder einer akuten Psychose, kann jemand mit entsprechenden Fähigkeiten in erster Hilfe für psychische Gesundheit das Risiko verringern, dass Betroffene Schaden nehmen.
Bis im Oktober 2022 haben bereits 10’000 Menschen ensa-Kurse besucht und Erste Hilfe für psychische Gesundheit gelernt. Die Vision von ensa für die Schweiz ist es, die Community der Ersthelfer:innen auf eine Million zu erhöhen.
Mit den Erste-Hilfe-Kursen für die psychische Gesundheit soll jede:r Teilnehmer:in in die Lage versetzt werden, seine Mitmenschen auch in seelischen Krisensituationen und bei Auftreten von Symptomen psychischer Erkrankungen zu unterstützen und als Ersthelfer:in den Zugang zu professionellen Hilfsmöglichkeiten zu ebnen.
Die Teilnehmenden lernen die Erste Hilfe für psychische Gesundheit in 5 Schritten kennen und eignen sich Basiswissen zu den häufigsten bzw. gravierendsten psychischen Erkrankungen an (Depression, Angststörungen, Psychose und Suchterkrankungen). Erste Hilfe bei Krisensituationen wird im Verlauf des Kurses ebenso besprochen und geübt, wie die wertfreie Ansprache und Unterstützung von Menschen, bei denen sich erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung zeigen. Gruppenübungen und Rollenspiele zur Anwendung des erworbenen Wissens sind neben der Wissensvermittlung fester Bestandteil des Kurses.
Mit den neu erworbenen Fertigkeiten leisten Ersthelfer:innen einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität der Menschen in ihrem Umfeld. Und mit dem Wissen über psychische Gesundheit stärken sie nicht zuletzt auch sich selbst.
Wir führen Kurse als Präsenzkurse oder als Webinare durch und in Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Der Erste-Hilfe-Kurs mit Fokus Erwachsene dauert 14 Std. inkl. Pausen und der Erste-Hilfe-Kurs mit Fokus Jugendliche 16 Std. inkl. Pausen. Diese Kurse werden i.d.R. in 4 Teilen vermittelt oder in 2 Tagen. Die Webinare sind auf 7 Sessions aufgeteilt. Beide Kurse werden mit einer Prüfung inkl. Zertifikat abgeschlossen. Dann haben wir halbtägige Kurse, Erste-Hilfe-Gespräche für Führungskräfte, Erste-Hilfe-Gespräche über Suizidgedanken und Erste-Hilfe-Gespräche über selbstverletzendes Verhalten ohne Suizidabsicht. Die Kursinhalte differieren je nach Thematik.
Der Erste-Hilfe-Kurs mit Fokus Jugendliche beispielsweise richtet sich an Erwachsene, die mit jungen Menschen zu tun haben. Das können Eltern, Grosseltern, Lehrpersonen, Schulsozialarbeitende, Jugendgruppenleitende, Lehrmeister:innen, Berufsbildner:innen und so weiter sein. Ziel dieses Kurses ist es, die Teilnehmenden zu befähigen, Hinweise auf psychische Belastungen bei Jugendlichen rasch zu erkennen und sie von normalen Pubertätszeichen unterscheiden zu können.
Das ganze Kurswesen ist auf unserer Webseite https://www.ensa.swiss/de/ersthelfer/ ausführlich beschrieben.
Die Kurse werden von Instruktorinnen und Instruktoren gegeben, welche das von der Stiftung Pro Mente Sana durchgeführte und fünf Ausbildungstage umfassende Instruktoren-Training erfolgreich durchlaufen haben. Im Training wird das zur Durchführung des Kurses notwendige Wissen und die benötigten Unterrichtsmaterialien von ensa Trainer:innen der Pro Mente Sana vermittelt.
Ersthelfende haben ein Grundwissen über psychische Probleme und Krisen. Sie wissen, wie sie im persönlichen Umfeld auf eine betroffene Person zugehen, ihr beistehen, sie unterstützen und informieren können. Sie wissen auch, wie sie die Person zu professioneller Hilfe ermutigen und weitere Ressourcen aktivieren können. Ersthelfende sollen keinesfalls Diagnosen stellen oder sich als Laientherapeut:innen aufspielen.
Der Inhalt des ensa Erste-Hilfe-Kurses basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es gibt zurzeit kein anderes Programm, bei dem die positive Wirkung mit so vielen wissenschaftlichen Studien in anerkannten Fachzeitschriften nachgewiesen wurde. Es konnte gezeigt werden, dass Menschen, die an einem Ersthelfer-Kurs teilgenommen haben, ein verbessertes Wissen über psychische Gesundheit aufweisen, sich weniger stigmatisierend verhalten, ihr Vertrauen in das eigene Helfenkönnen steigern und ihre eigene psychische Gesundheit stärken. Erste Hilfe für psychische Gesundheit funktioniert und wirkt.
Ich war zwölf Jahre alt, als mein fünf Jahre älterer Bruder seinen ersten psychotischen Schub hatte. Er bekam die Diagnose Schizophrenie. Als Angehöriger erlebte ich hautnah, was eine solche Krankheit für den Betroffenen selbst und sein soziales Umfeld bedeutet. Meine Eltern litten sehr und fühlten sich ohnmächtig. Diese Erfahrungen haben wohl auch meine Berufswahl geprägt. Ich lernte zuerst Möbelschreiner und wechselte später in den sozialen Bereich. Zuerst mit Vorpraktika u.a. in Jugendtreffpunkten, in einer heilpädagogischen Tagesschule und im Suchtbereich. Danach erwarb ich das Diplom in Sozialer Arbeit FH und arbeitete in einer Institution für die berufliche Integration von Menschen mit psychischen Herausforderungen, in einem Wohnheim, in einem psychiatrischen Ambulatorium und in der Aidshilfe. Später machte ich noch den Master in systemisch-lösungsorientierter Kurzzeitberatung und -Therapie. Das Thema psychische Gesundheit hat mich überall begleitet.
Von September 2012 bis Mitte 2019 war ich bei Pro Mente Sana tätig, als Leiter und Fachverantwortlicher für die Beratungsdienstleistungen und ab 2018 wirkte ich beim Aufbau von ensa mit und bildete die ersten Instruktor:innen für die ensa-Kurse aus. Das war eine sehr interessante, aber auch anstrengende Zeit. Seither war ich noch bei der Selbsthilfe BE und in einem grossen Techkonzern beschäftigt, nebenbei noch als Teilselbstständiger. Für Pro Mente Sana bleibe ich weiterhin als Trainer und Instruktor für ensa-Kurse tätig.
Das Thema psychische Gesundheit hat durch die vielen Krisen, die wir im Moment wahrnehmen, zweifellos an Bedeutung gewonnen. Corona, Ukraine, Klima- und Energiekrise, viele von uns befinden sich in einem Modus, in dem die Zuversicht sinkt, dass es in Zukunft gut kommt. Das beeinflusst natürlich das psychische Wohlbefinden. Insbesondere junge Menschen fühlen sich sehr belastet und in den Medien wird viel darüber geschrieben. Aber darüber schreiben und reden bedeutet noch nicht, dass dann auch gehandelt wird und sich an der breiten Einstellung gegenüber psychischen Beeinträchtigungen auch wirklich etwas zum Guten ändert. Gerade in der Arbeitswelt ist die Hürde nach wie vor recht hoch, dass Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen eine Chance bekommen bzw. sich jemand innerhalb des Betriebes zu seiner psychischen Befindlichkeit äussert. Dabei haben alle eine Psyche und es gibt keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit.
Nicht nur die Schweizer Bevölkerung kämpft aktuell mit einer unsicheren Weltlage. Viele fühlen sich unsicher und ängstlich. Das zeigen auch die Ergebnisse einer kürzlich vom Meinungsforschungsinstitut gfs.bern durchgeführten Umfrage der Kampagne «Wie geht’s dir?» (siehe hierzu die Medienmitteilung vom 31.08.2022). Demnach fühlen sich zwei von fünf Menschen in der Schweiz aktuell stark psychisch belastet sind. Fast jede:r Zehnte weist sogar eine sehr hohe psychische Belastung auf. Frauen sind mit 43% insgesamt öfter hoch oder sehr hoch psychisch belastet als Männer (35%).
Am stärksten beeinträchtigt ist die Gen-Z (zwischen den Jahren 2000 und 2012 geboren), also junge Menschen. So ist mehr als die Hälfte der Generation-Z hoch (30%) oder sehr hoch (26%) und zusätzliche 29% mittel psychisch belastet.
Aus fachlicher Sicht überrascht das nicht. Es sind oft die Jüngeren, die psychisch am meisten herausgefordert sind. Sie haben noch nicht die Lebenserfahrung, dass Krisen vorbei gehen, darum erleben sie diese intensiver. Zudem haben sie weniger erprobte Bewältigungsstrategien, ihre Beziehungen sind weniger gefestigt und darum weniger stabilisierend. Da können ensa Erste Hilfe Kurse sicher einen Beitrag zur Verbesserung der psychischen Gesundheit leisten.