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Krisen gehören zum Leben, jeder zweite Mensch leidet im Laufe seines Lebens an einer psychischen Erkrankung. Im Interview mit der Psychiaterin Undine Lang wollen wir wissen, was vor Krankheit schützt oder dabei hilft, diese zu bewältigen. Wie können Menschen lernen, ihre eigenen Ressourcen zu aktivieren, damit sie in Zukunft mit Belastungen besser umgehen können.
Geschrieben habe ich dieses Buch, um unser heutiges, durch wissenschaftliche Studien gesichertes Wissen zur Resilienz darzustellen und damit möglichst konkrete Hinweise dafür zu liefern, was uns Menschen helfen könnte, psychisch gesund zu bleiben.
Das Wort leitet sich vom lateinischen Verb resilire ab, das so viel wie zurückspringen oder abprallen bedeutet. Demnach ist Resilienz die Fähigkeit, seine psychische Gesundheit während Widrigkeiten aufrechtzuerhalten oder danach schnell wiederherzustellen. Und dies ist einfacher, wenn wir in belastenden Situationen auf persönliche und soziale Ressourcen zurückzugreifen können.
Wie robust jemand psychisch ist, hängt von vielen Faktoren ab. Die Einflüsse unserer Aussenwelt, die Umgebungsbedingungen und die Art und Weise, wie wir leben, spielen eine Rolle genauso wie unser Verhalten und unsere innere Einstellung.
Einer der wichtigsten Schutzfaktoren vor psychischen Erkrankungen ist ein Arbeitsplatz. Wenn jemand keine Arbeit hat, kann das Risiko für Suizide um das Neunfache ansteigen. Auch eine glückliche, emanzipierte Beziehung wirkt sich positiv auf unsere psychische Gesundheit und Stabilität aus. Ob verheiratet oder nicht, da gibt es bei Männern und Frauen Unterschiede. Männer bleiben, wenn sie verheiratet sind, psychisch gesünder, als wenn sie in einer Lebenspartnerschaft zusammenleben. Bei Frauen sehen wir diesen Effekt weniger, bei ihnen spielt es nicht so eine grosse Rolle, ob sie in einer Partnerschaft oder in einer Ehe leben. Zur Resilienz beitragen kann auch das Leben auf dem Lande, desgleichen der Umgang mit Tieren. Körperliche Gesundheit ist ein weiterer Schutzfaktor: Körperliche Erkrankungen verdoppeln das Risiko für psychische Erkrankungen und psychische Erkrankungen verdoppeln das Risiko körperlicher Erkrankungen. Sehr wichtig für den Erhalt der psychischen Gesundheit sind auch Freunde, vor allem wenn mit ihnen ein reger Austausch und Kontakt gepflegt wird.
Neben diesen äusseren Faktoren, die unsere Umgebung und Lebenssituation prägen, ist es das, was wir täglich tun oder unterlassen, was vor psychischen Erkrankungen schützen kann. Viele Beschäftigungen können Symptome, die zeitraubend und quälend sind, begrenzen. Ein Beispiel ist Sport. Sport als Therapieform wird mittlerweile in sämtlichen Behandlungsleitlinien psychischer Erkrankungen empfohlen. Sport führt genauso wie Yoga, Entspannung, Kunst, Musik und Meditation dazu, dass wir achtsamer durch unseren Alltag gehen und uns auf eine bestimmte Tätigkeit konzentrieren können, anstatt dass wir uns in Gedanken über die Welt verlieren. Ähnlich wie Meditation und Sport können auch Aktivitäten wie Yoga, Kunst, Gärtnern, Stricken, Computerspiele spielen, Golf, Musik und Tanzen die psychische Gesundheit auf dieselbe Art fördern. Aktives Verhalten, das ebenfalls dazu beiträgt, die psychische Gesundheit zu verbessern ist die Pflege von Freundschaften. Regelmässige Kontakte und Aktivitäten mit Freunden und ein diverser und grosser Freundeskreis führen zu einem starken Rückhalt, mehr Vertrauen, weniger Stress, einer besseren Gesundheit und mehr sozialen Ressourcen. Auch gesunde Schlafgewohnheiten, eine gesunde reichhaltige Ernährung und viel Licht sind Verhaltensaspekte, die die psychische Gesundheit steuern können. Fehlen sie, ist das Risiko, dass wir psychisch (und physisch) erkranken, gross.
Das Wichtigste und Massgeblichste, was zur Resilienz beiträgt, ist tatsächlich die innere Einstellung. Welchen Fokus setzen wir? Investieren wir Zeit in Dinge, die wir nicht ändern können oder nehmen wir unsere Umwelt als veränderbar wahr? In vielen Bereichen, denken wir etwa an die Klimakrise, die Biodiversität, die Ukraine oder die drohende Energiekrise, kann das Gefühl aufkommen, dass das eigene Handeln nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist oder wir gar keinen Einfluss auf die Dinge haben. Wir fühlen uns dann überfordert, gelähmt und machtlos. Ich nehme mich da gar nicht aus. Um Resilienz zu erreichen, ist es wesentlich, sich trotz negativer Gedanken oder Gefühle mit dem Leben und der Realität verbinden zu können, um positive Gefühle erleben zu können. Freude, Liebe, Neugier, Humor, Gelassenheit, Motivation können trainiert werden und zu einer Verbesserung von Gesundheit, Beziehungen und Lebenszufriedenheit führen. Aus positiven Emotionen erwachsen neue Gedanken, Aktivitäten und Beziehungen entstehen, die persönliche Ressourcen erweitern und die psychische Gesundheit stärken. Wichtig ist auch, seine eigenen Ziele zu verfolgen und sein Leben nach seinen eigenen Werten zu gestalten, um diesem einen Sinn zu geben. Wenn wir im Denken flexibel sind, Chancen erkennen und wahrnehmen, können wir aus Krisen gestärkt hervorgehen, Emotionen regulieren, optimistisch, neugierig, präsent und dankbar sein und anderen vergeben. So sind wir für Krisenzeiten besser gewappnet.
Ja, interessanterweise. Trotz zunehmender körperlicher und psychischer Beschwerden sind ältere Menschen in der Regel glücklicher und zufriedener als Jugendliche oder junge Erwachsene. Sie haben gelernt, Krisen etwas Positives abzugewinnen, mit Verlusten fertig zu werden und chronische Erkrankungen zu meistern. Mit zunehmendem Alter steigt die Fähigkeit zur Resilienz. Es gibt mehrere grosse Studien, die Menschen von ihren jungen Jahren bis ins Alter regelmässig befragten, wie zufrieden sie mit ihrem Leben sind. Je näher der 70. Geburtstag rückt, desto besser geht es den Menschen und desto zufriedener werden sie. Die Lebenszufriedenheit bei den 65–74-Jährigen ist jeweils am höchsten. Dieses Phänomen wird als Alters-Paradoxon oder Zufriedenheits-Paradoxon bezeichnet.
Frauen leiden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit an einer psychischen Erkrankung als Männer. So sind bei Frauen Depressionen und Angsterkrankungen beispielsweise etwa doppelt so häufig wie bei Männer. Das liegt sicher auch daran, dass Frauen eher ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen und sich mehr aussprechen. Männer ziehen sich eher zurück, wollen Probleme mit sich selbst ausmachen, was sich in der Folge bei manchen in einem höheren Alkohol- oder Drogenkonsum zeigt.
Das kann man so nicht sagen. Frauen sind tendenziell mehr Belastungen ausgesetzt. Sie sind häufiger von häuslicher Gewalt betroffen, erleben mehr Traumata. In der Regel sind sie stärker in Beziehungen involviert, sei es die Pflege eines Angehörigen, Sorge um die Kinder oder Eltern und den Zusammenhalt der Familie. Die Pflege von Angehörigen ist ein Risikofaktor für das Entwickeln von Depressionen und Burn-Out. Frauen sind sowohl im Beruf als auch im Privatleben gefordert. Im Arbeitsumfeld tun sich Frauen oft schwerer als Männer. Sie erlauben sich nicht immer, erfolgreich zu sein und sich ihre beruflichen Träume so proaktiv, selbstverständlich und selbstbewusst zu erfüllen wie Männer. Deshalb bleiben sie teilweise hinter ihren männlichen Kollegen zurück.
Wir erleben, dass es für unsere Patient:innen nicht nur wichtig ist, dass ihre Krankheitssymptome bekämpft werden oder dass verhindert wird, dass diese wieder auftreten. Ein wichtiges Anliegen ist ihnen auch, dass sie ihre Stärken ausbauen können und dass sie diese überhaupt wahrnehmen. Dass ihre gesunden Anteile mehr in den Vordergrund rücken. Bedeutsam ist für sie, dass der Fokus nicht nur darauf liegt, was durch Krisen verloren wird, sondern auch darauf, was Krisen bewirken können, welche Chancen sie beinhalten. Betroffene möchten wissen, wie sie selbst daran arbeiten können, widerstandsfähiger zu werden, stärker und glücklicher. Was sie selber tun können, um Rückfälle zu verhindern, Krisen besser zu meistern und ihr Wohlbefinden zu steigern. Ihnen ist bewusst, dass Wohlbefinden dabei nicht unbedingt immer die Abwesenheit von Symptomen bedeutet. Sie möchten wissen, was sie schützen kann, welche Umgebungsfaktoren sie vielleicht schwächen und wie sie aktiv zu ihrer Stabilität beitragen können.
Ja, sicher. Auch wir Ärzte wissen, dass wir unseren Patient:innen nur bis zu einem gewissen Punkt helfen können und dass es besser, weil erfolgsversprechender ist, wenn sie in der Behandlung mitarbeiten, mitdenken, verantworten und entscheiden, in dem Rahmen, in dem sie es vermögen. Gerade bei chronischen Erkrankungen ist es wichtig, dass Menschen ihren eigenen Weg finden und ihre eigenen Entscheidungen treffen, wie sie mit der Erkrankung umgehen wollen.